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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 08.11.2006
Aktenzeichen: 5 U 118/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 223
ZPO § 233
ZPO § 85 Abs. 2
1. Die ordnungsgemäße Organisation einer Rechtsanwaltskanzlei muss nicht nur sicherstellen, in welcher Weise ein fristwahrendes Schriftstück per Telefax nachprüfbar erfolgreich versandt wird und bei dem Empfänger eintrifft, sondern muss gleichermaßen Sicherungen dafür vorsehen, dass die Anordnung des Telefax-Versandes überhaupt ausgeführt wird.

2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Versendung per Telefax unmittelbar vor Ablauf einer Notfrist erfolgt und die angeordnete Parallelversendung mit normaler Post ungeeignet ist, die Einhaltung der Frist zu gewährleisten.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT

Beschluss

Geschäftszeichen: 5 U 118/06

In dem Rechtsstreit

beschließt das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, am: 08. November 2006 durch den Senat

Betz, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Rieger, Richter am Oberlandesgericht Dr. Koch, Richterin am Oberlandesgericht

Tenor:

Der Antrag vom 03.07.06 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist wird zurückgewiesen. Die Berufung der Klägerin vom 26.06.06 gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23.05.06 wird verworfen.

Die Kosten der Berufung sowie des Wiedereinsetzungsantrags fallen der Klägerin zur Last.

Der Streitwert wird auch für die Berufungsinstanz auf € 75.000.- festgesetzt.

Gründe:

1. Gegen das am 23.05.06 verkündete und ihren Prozessbevollmächtigten am 26.05.06 in vollständiger Form zugestellte Urteil des Landgerichts Hamburg hatte die Klägerin mit Schriftsatz vom 26.06.06 Berufung eingelegt. Dieser an das Hanseatische Oberlandesgericht gerichtete Schriftsatz ist am 28.06.06 im Original bei der Gemeinsamen Annahmestelle bei dem Amtsgericht Hamburg eingegangen. Der Schriftsatz trägt im Adressfeld den fettgedruckten Zusatz: "Vorab per Telefax: 040 42843 2097". Eine Vorabversendung per Telefax an das Hanseatische Oberlandesgericht (das allerdings über die Telefaxnummer 4097 erreichbar ist) soll nach Darstellung der Klägerin aber tatsächlich nicht erfolgt sein. Ihr Berufungsschriftsatz vom 26.06.06 ist im Original erst 2 Tage nach der gem. § 517 ZPO bereits am 26.06.06 abgelaufenen Berufungsfrist - und damit verspätet - bei Gericht eingegangen.

Gegen die Rechtsfolgen dieser Fristversäumung nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO richtet sich der Antrag der Klägerin vom 03.07.06 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO. Die Klägerin macht geltend, die unterbliebene Vorabversendung beruhe nicht auf ihrem bzw. dem Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten, sondern auf einem individuellen Fehler einer ansonsten zuverlässigen Rechtsanwaltsfachangestellten.

2. Der zulässige Wiedereinsetzungsantrag ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Denn die Klägerin war nicht ohne ihr Verschulden daran gehindert, die Berufungsfrist einzuhalten. Die Fristversäumung beruht im Wesentlichen nicht auf einem individuellen Versagen einer Mitarbeiterin, sondern auf einem Organisationsmangel bei der Überwachung der Mitarbeitern übertragenen Versendung fristwahrender Schriftsätze im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten. Dieses Versagen hat sich die Klägerin gem. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen zu lassen.

a. Der Senat hält nach nochmaliger Beratung und Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht mehr an seiner mit Verfügung vom 29.08.06 geäußerten vorläufigen Einschätzung fest, wonach der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis nicht versagt werden könne. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung sind die Parteien mit Senatsverfügung vom 10.10.06 vorsorglich darauf hingewiesen worden, dass der Senat im Hinblick auf die Ausführungen der Beklagten in dem Schriftsatz vom 18.09.06 erneut über die Frage beraten wird, ob an diesem Ergebnis weiterhin festzuhalten ist. In dem seitdem verstrichenen Zeitraum von ca. 4 Wochen sind keine weiteren Erklärungen der Parteien zur Akte gelangt.

b. Der Wiedereinsetzungsantrag ist allerdings zulässig. Er ist innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO bei Gericht eingegangen. Der Wiedereinsetzung ist jedoch unbegründet. Das von der Klägerin für die Versäumung der Vorabversendung der Berufungsschrift gemachte individuelle Versagen der ansonsten zuverlässigen Kanzlei-Mitarbeiterin KE hat nicht die entscheidende Ursache für die Versäumung der Berufungsfrist gesetzt. Diese liegt vielmehr in einem Organisationsmangel im Büro der Kläger-Vertreter

aa. Die von dem Kläger-Vertreter verfügte und in das Adressfeld aufgenommene Vorabversendung der Berufungsschrift per Telefax ist von der Kanzlei-Mitarbeiterin der Prozessbevollmächtigten der Klägerin weisungswidrig vollständig unterlassen worden. Sie ist schlicht vergessen worden. Die Mitarbeiterin hat in dem Kanzleikalender zudem die Berufungsfrist als erledigt gestrichen, ohne dass das Faxprotokoll vorgelegen hat, welches die erfolgreiche Versendung des Schriftsatzes belegte.

bb. Gegen ein derartiges - nicht fern liegendes - Fehlverhalten haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin pflichtwidrig keinerlei organisatorische Vorkehrungen getroffen, die geeignet waren, eine hierauf beruhende (drohende) Fristversäumung zu offenbaren und zu verhindern. Allerdings haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin unbestritten vorgetragen, dass sie umfangreiche organisatorische Vorkehrungen getroffen haben, um zu gewährleisten, dass die Berufungsfrist erst dann gelöscht ist, wenn sichergestellt ist, dass der per Telefax versandte Schriftsatz auch den Empfänger erreicht hat. Insbesondere besteht insoweit die Anweisung, anhand des Faxprotokolls die vollständige Übermittlung des Schriftsatzes zu überprüfen, die Richtigkeit der Telefon- und Faxnummern wird durch Abgleich mit verlässlichen Listen überprüft, die Berufungsfrist wird erst nach Kontrolle des Faxprotokolls gelöscht. Alle diese Organisationsmaßnahmen stehen im Einklang mit den differenzierten Anforderungen, die die höchstrichterliche Rechtsprechung an die Erfüllung anwaltlicher Überwachungspflichten bei der Delegation der Übersendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax stellt (vgl. hierzu zusammenfassend: Zöller/Greger, ZPO, § 233, Rdn. 23, Stichwort "Telefax" m.w.N.)

cc. Indes setzen all jene Maßnahmen voraus, dass überhaupt (irgend)eine Versendung per Telefax erfolgt ist, so dass ein Faxprotokoll generiert und überprüft werden konnte. Sie legen indessen nicht eine Situation zu Grunde, in der die Versendung abredewidrig vollständig unterbleibt. Auch für diese Fälle ist es nach Auffassung des Senats im Rahmen einer ordnungsgemäßen Kanzleiorganisation erforderlich, angemessene und wirksame Vorsorge zu tragen. Sonst hätte dies nicht hinnehmbare Wertungswidersprüche bei der Bemessung anwaltlicher Sorgfaltspflichten zur Folge. Wenn (nachrangig) umfassende organisatorische Kontrollmaßnahmen erforderlich sind, um sicherzustellen, dass eine Telefax-Versendung auch in technischer, organisatorischer bzw. inhaltlicher Weise ordnungsgemäß erfolgt ist, muss erst recht (vorrangig) sichergestellt werden, dass die angeordnete Versendung überhaupt erfolgt. Andernfalls weist die anwaltliche Kanzleiorganisation erhebliche Sicherheitslücken auf.

dd. So verhält es sich auch im vorliegenden Fall. Die von dem Kläger-Vertreter vorgetragenen Anweisungen waren ungeeignet, zu verhindern, dass eine Versendung per Telefax überhaupt unterblieb. Die Kanzleimitarbeiterin KE unterlag insoweit keinerlei wirkungsvollen Kontrolle der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Sie hat ein doppeltes Fehlverhalten an den Tag gelegt, in dem sie 1. die Versendung der Berufungsschrift per Telefax vollständig unterlassen und 2. sodann die Berufungsfrist gestrichen hat, obwohl ihr keinerlei Faxprotokoll vorlag, das über die erfolgte Versendung Auskunft gab. Eine wirkungsvolle Kanzleiorganisation bei der Überwachung der auf zuverlässige Mitarbeiterinnen übertragenen Aufgaben muss dafür Sorge tragen, dass zumindest ein derartiges doppeltes Fehlverhalten nicht unentdeckt bleibt. Der Senat hat keine Ausführungen dazu zu machen, wie dies im einzelnen zu bewerkstelligen ist. Denkbar ist jedenfalls, dass die Prozessbevollmächtigten anweisen, dass Faxprotokolle über die erfolgte Versendung fristwahrender Schriftsätze ihnen stets persönlich vorgelegt werden.

ee. Selbst wenn man die vorstehend dargelegte, weitergehende Kontrolle durch die Prozessbevollmächtigten nicht in jedem Fall bei der Vorabversendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax für notwendig hielte, muss dies nach Auffassung des Senats aber jedenfalls dann gelten, wenn der fristwahrende Schriftsatz - wie hier die Berufungsschrift - erst am letzten Tag der Notfrist erstellt und an einen andern Ort in Deutschland versandt werden soll. Denn in diesem Fall ist es - für den Rechtsanwalt ersichtlich - von vornherein ausgeschlossen, dass der Schriftsatz mit der normalen Post noch rechtzeitig den Empfänger erreicht. Zumindest in diesen Fällen sind besondere Vorkehrungen zur Überwachung des Vorab-Telefaxes notwendig, welches nach Sachlage als einziges geeignet sein kann, die Fristwahrung zu bewirken. Etwaige Besonderheiten bei einer angeordneten Versendung auch des Original-Schriftsatzes per Kurier sind aus Anlass dieses Rechtsstreits nicht zu erörtern.

c. Im Hinblick darauf, dass der Wiedereinsetzungsantrag schon wegen der unterbliebenen Versendung des Telefaxes unbegründet ist, bedarf es keiner Erörterung der weiteren Fragen, die mit der Angabe einer fehlerhaften Telefaxnummer des Hanseatischen Oberlandesgerichts im Adressfeld (2097 statt 4097) und dem dort angebrachten handschriftlichen "Häkchen" zusammenhängen.

3. Die Berufung der Klägerin vom 26.06.06 gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 23.05.06 wird aus den bereits näher ausgeführten Gründen gem. § 522 Abs. 1 ZPO verworfen, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist, sondern verspätet eingelegt worden ist.



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